Semaine à composter
Wenn es nun seit länger als einer Woche nichts mehr von mir zu hören bzw. lesen gab, dann hatte dies ausnahmsweise auch noch einen anderen Grund als meine Faulheit. Ich spreche von dem Workcamp, an dem ich letzte Woche - von Eurocircle finanziert - teilnehmen durfte, auch unter dem schelmischen Namen „Kompostfest“ bekannt (danke, Bernd-Michael^^). Genau darum, oder fast, ging es nämlich: Es galt, in sehr gemäßigten Arbeitszeiten von 8 Uhr bis noch vor 2 einen „abri pour le compostage“, zu Deutsch so etwas zwischen Unterstand und Hütte zu errichten, in dem künftig die Zersetzung von Küchenabfällen und Komposttoiletten (Ja, richtig: wie früher Omas Summerhaisl! =)) vonstatten gehen soll.
Der Rahmen für das Ganze hieß „Loubatas“, ist die FÖJ-Einsatzstelle von Yannick und auch sonst so toll, dass man ihm gerne einige Zeilen widmet. Der „Loubatas“, Ökoherberge und pädagogische Einrichtung, hat alle notwendigen Zutaten, die ihn zu einem kleinen Paradies für verstaubte Großstadtmenschen wie mich neuerdings machen. Das Projekt an sich klänge schon nach völlig utopischer heiler Welt, wenn es nicht tatsächlich existieren würde: Beinahe das gesamte Gebäude mit Drumherum ist im Laufe der Jahre durch viele, viele „chantiers de jeunes“, also Jugendlichen-Workcamps wie unseres, entstanden und gewachsen.
Hinzu kommen die Lage am Ende eines 3 km langen Schotterwegs inmitten von Wäldern, die überall nach diesen „Herbes de Provence“ aus dem Supermarkt duften, die überaus herzlichen und auf eine sehr natürliche Art freundlichen Menschen dort, das 100 % biologische Essen, das zwar auf Fleisch fast ganz verzichtet, aber dies durch die schiere Fülle und Schmackhaftigkeit mehr als wettmacht (4x pro Tag, und jeweils reichhaltig!). Bleibt noch auf die beeindruckendste Besonderheit hinzuweisen: Der Loubatas ist dank Photovoltaik, Sonnenkollektoren und eigener Brunnenbohrung quasi vollkommen energieautark! Da ja Hauptzweck der Einrichtung ist, Kinder zu ökologischem Verhalten zu ermutigen, hängen passend dazu im ganzen Gebäude liebevoll gemachte Schautafeln und -kästen, die dafür sorgen, dass man das Ziel des Energiesparens ständig vor Augen hat.
Das Zupacken auf der Baustelle war eine willkommene Abwechslung zum Büroalltag, der, nun ja, zwar nicht grau, aber doch immerhin bewegungs- wie frischluftarm ist. Das Beste: unsere beiden Betreuer, Bruno und Jannick (aufpassen: nicht Yannick! =)), die eine Engelsgeduld und viele offene Ohren an den Tag legten, wo es angesichts eines Haufens hoffnungsloser Laien, um nicht wegen der Alliteration zu sagen Hamperer, eigentlich zum Verzweifeln gewesen wäre. Anders als gelegentlich beim Ferienjobben war man also nicht nur Handlanger, der trotzdem nichts richtig macht, sondern wurde geradezu ermutigt, auch mal die Säge in die Hand zu nehmen. Einen Vormittag verbrachten Yannick und ich sogar auf dem (ausgesprochen wackligen, heieiei) Dach. Das Resultat, wie es die Fotos beweisen, kann sich trotzdem durchaus sehen lassen, und ganz nebenbei habe ich mir noch mehr Werkzeuge auf Französisch angeeignet, als ich im Deutschen kenne...
Wie gesagt, geschuftet wurde trotzdem nicht allzuviel (offiziell 30 h pro Woche, meine innere Uhr sagt, viel weniger), und die Zeit, die wir gerade nicht am Esstisch verbrachten, war angefüllt mit einem reichhaltigen und wunderbar naturnahen Beiprogramm. Waldspaziergang auf dem loubataseigenen „sentier de découverte“, Sonnenuntergang auf dem Gipfel des Concors (781m hoch - nicht so lächerlich, wie es sich anhört) mit anschließendem nächtlichen Verlaufen und atemraubendes Kajakfahren in den atemberaubenden Gorges du Verdon, dem französischen Grand Canyon. Im Großen und Ganzen eine sportliche, erfahrungsreiche und herrliche Woche, die mich tatsächlich mit viel, viel Energie und einer gewissen Lockerheit nach Marseille zurückkehren ließ und die nebenbei auch mal erlaubte, das Ö im FÖJ groß zu schreiben.king-tob0 - 15. Sep, 00:27

Wird Zeit, dass ich mal was über meine neue Heimatstadt loswerde - und heimisch kann sich der Bajuware hier durchaus fühlen, denn es gibt Parallelen, die nicht von der Hand zu weisen sind: Da ist einmal die Lage ganz im äußersten Süden. „Marseille, c‘est pas la France“, wurde mir schon eindringlich versichert. Stattdessen sei Marseille tatsächlich „the capital of Africa“ - ganz so wie München (und eigentlich ja ganz Bayern) nach Ansicht manchen Spaßvogels nicht zu Deutschland gehört, sondern klima- und lebensartmäßig die „nördlichste Stadt Italiens“ ist. Nicht nötig zu erwähnen, dass beide Städte ihren jeweiligen Hauptstädten schon lange auch sportlich ein Schnippchen schlagen und so mit OM und FCB den amtierenden Fußballmeister stellen. In Sachen landschaftlicher Schönheit macht beiden ebenfalls keiner so schnell etwas nach. Und während München auf den bekannten Föhn-Bildern direkt im Gebirge zu liegen scheint, ist es in Marseille auch ohne Mistral ganz schön bergig, außenrum sowieso, aber auch in der Stadt gehts ständig auf und ab.
Denn: In Marseille ist es teilweise so dreckig, dass es fast schon wieder zum Lachen ist. Zum Beispiel, wenn man die Müllcontainer regelmäßig kaum mehr sieht vor lauter Unrat, der drumherum abgestellt ist. Wenn man den Zentner Hund fünf Meter vor sich auf die Straße sch...also koten und dann wieder zu Herrchen aufschließen sieht, das sich inzwischen elegant abgesetzt hat. Wenn man zu Pseudorecycling (also Glas - Papier - Rest) angehalten ist und dann beobachten darf, wie beim Entleeren doch wieder alles zusammen geschüttet wird. Wobei die „Sperrmüll-ist-immer-und-überall“-Praxis auch ihre guten Seiten hat, wie ich bereits erfahren durfte: Als ich heute mithelfen „durfte“, das alte Büro von Eurocircle von sämtlichen altem Grint zu säubern, lautete das Urteil über die meisten vergammelten Möbel schlicht „poubelle“, zu deutsch Mülleimer. Was konkret hieß: Stellen wir sie vors Haus, irgendwann nimmt sie schon jemand mit. Und tatsächlich mussten wir nicht einmal auf die Müllabfuhr warten. Noch während wir ausräumten, lud sich ein vorbeikommender Radfahrer die ersten noch brauchbaren Spanplatten auf. Hier gang und gäbe...
Melting Pot aller möglichen Kulturen ist die Stadt noch immer, und die Einwohner auch zu Recht stolz darauf. Gerade in meinem Viertel scheint es sehr viele muslimische Einwanderer zu geben, und das arabische Süßgebäck (köstlich und in Germany völlig unbekannt) gibts an jeder Ecke. Leider ist diese ganz besondere Marseiller Identität im allgemeinen nicht kaufkraftträchtig genug und deshalb Investoren ein Dorn im Auge, weshalb es allgemein um die wirtschaftliche Entwicklung hier nicht zum Besten bestellt ist (ca. 14 % Arbeitslosigkeit gegen 10 % in ganz Frankreich). Um dem entgegenzuwirken, wurde vor einiger Zeit bereits beschlossen, mit dem mit Euromediterranée betitelten Städtebauprojekt und Unsummen Geldes ganze Stadtteile umzumodeln und so am Golfe de Lion quasi ein zweites Barcelona entstehen zu lassen: hip, dynamisch, modern, teuer. Im Ganzen, wie der Name schon sagt, nicht weniger als die neue Hauptstadt des Mittelmeerraums, die sich zum Kulturhauptstadtjahr 2013 Europa präsentieren will. Diesem Programm verdankt das Stadtzentrum immerhin bereits einen fühlbaren wirtschaftlichen Aufschwung und ein Stararchitektenglashochhaus, das wohl vielen Skylines eine Zierde wäre, in diese Stadt aber einfach so was von nicht passt. Das Viertel am Bahnhof, in dem ich lebe, soll dereinst auch dran sein - aber bis dahin bin ich wohl schon wieder über alle Berge...



