Dienstag, 31. Mai 2011

Sommer, Sonne, Ökiglück ;)

Es ist unglaublich: Da braucht es eine einsame dreistündige TGV-Reise von Marseille nach Dijon, um nachzuholen, was in den letzten fast drei Monaten etwas kurz kam: endlich mal wieder einen Blogeintrag zu schreiben. Stattdessen habe ich meine nach Ansicht manches uninformierten Spötters völlig überdimensionierte Freizeit großteils damit zugebracht, berichtenswerte Events zu erleben, die nun vielstimmig danach schreien, nacherzählt zu werden.

DSC08992Der Grund für diese Zugfahrt etwa ist eins: Er hört auf den sonderbaren Namen „Tauschrausch“, seinen für meine Ohren etwas missratenen und in Blumenwiesen tollende Kleinkinder evozierenden Zusatz „Ökiglück“ erwähne ich hingegen nur widerstrebend und der Vollständigkeit halber. Von der Namensästhetik einmal ganz abgesehen bedeutet Tauschrausch das Privileg des FÖJ-lers, seiner Einsatzstelle für eine Woche im Jahr den Rücken zu kehren, sich ein (leider nicht erstattbares) Zugticket zu einem seiner Öko-Kollegen zu holen und ihm eine Woche bei der Arbeit zu helfen. Das Ganze spielt sich etwas später dann andersherum ab. Dolle Sache im Ganzen.

Mich verschlägt es nun deshalb zu Bastian (bescher bekannt alsch „Bäschd the Poätrie-Schlämmer“, ihn kann man sich auf rechtigem Foto näher ansehen) und Henrike ins burgundische Auxonne, wo ich bei gemäßigten Temperaturen meinen Sonnenbrand auskurieren werde können, während ich auf der Ferme de la Bussière biologische Karotten und Kürbisse umsorge. Da ich mich im Vorfeld des FÖJ neben Eurocircle auch für mehrere Bauernhöfe beworben hatte, mir jedoch wohl bewusst bin, letztlich in einer der ökiglücklichen Landidylle sehr entgegengesetzten Welt gelandet zu sein, bin ich schon freudig gespannt darauf, den Alltag einer „normalen“ FÖJ-Stelle kennen zu lernen.


Und sonst so? Im großen standen die letzten Wochen und Monate ganz im Zeichen vielerlei kürzerer und längerer Trips. Ich habe nämlich den ganzen Winter damit zugebracht, stur sämtliche Entdeckungsreisen ins Umland auf die „schöne Jahreszeit“ aufzuschieben. Ab April und 25 °C wurde es deshalb Zeit, in die Gänge zu kommen. Bevor ich aber ein paar Takte von meinen Unternehmungen erzähle, möchte ich es nicht vergessen, einige unerschrockene Gestalten zu erwähnen, die sich aus dem fernen Oberbayern auf eine Reise mit Ziel Marseille aufgemacht haben: Die beiden Ex-Karlmann-Traumpärchen Sigi/Bäda sowie Simon/Isi teilten sich für je eine knappe Woche eine Matratze unter meinem bescheidenen mäusezerfressenen Dach.

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Die Besucher konnten dabei mit allerlei Mitbringseln aus der fernen Heimat punkten: Nussecken von Mama, am Münchner Flughafen zollfrei erworbene Bayern- / Deutschlandfahnen und Weißwürscht mit Brezn und am siassn Sempf ließen das Herz des Gastgebers höherschlagen. Dummerweise ließ sich trotz hartnäckiger Bewerbung bayerischer Esskultur nicht jeder Mitbewohner dazu erweichen, mitzuschlemmen, sodass wir blöderweise fast sämtliche Weißwürscht eigenhändig vernichten mussten. Sára meinte: „Fúj!“

Neben dem üblichen Touriprogramm (Vieux-Port, Notre-Dame, Strand, Calanques) verdient ein Ausflug mit Sigi und Bäda in eine Stadt, die wir eigentlich schon kannten, besondere Erwähnung: Tarascon revisited! Und siehe da, ist man einmal nicht angepisst und schleppt keinen 25-kg-Rucksack mit sich, präsentiert sich das Städtchen an der Rhône in den Augen aller als richtig sehenswert und angenehm. Stichpunkt angenehm: Leider bestätigte sich hingegen der gerüchliche Eindruck, den wir letzten Sommer gewannen. In der Nähe der Stadt und offensichtlich in Windrichtung steht irgendeine ganz miese Biogas- oder Hackschnitzelanlage... Notiz am Rande: Papi Hofi erriet ohne Zögern bei dem eigens für ihn aufgezogenen Gewinnspiel anhand der Rätselpostkarte, aus welcher Stadt jene kam und sicherte sich so den 1. Preis: 1 Rausch (auf die herkömmliche altbayerische Art, ganz ohne Tausch ;-)).

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Wie gesagt bin aber auch ich nicht übel rumgekommen in der letzten Zeit. Um die Chronologie einzuhalten, beginne ich mit einem Wochenendtrip, der Sára und mich Anfang April nach Lyon führte. Couchsurferin Marion, die vor einiger Zeit unihalber eine Nacht bei uns in Marseille verbrachte, fand uns sympathisch genug, uns auf Gegenbesuch in ihre Lyoner Studi-WG einzuladen. Das konnten wir natürlich nur schwerlich ausschlagen, und so fanden wir uns für drei Tage bei sehr netten Leuten einquartiert, nebenbei im Herzen des schönen „Croix-Rousse“-Viertels, das ich schon aus den G8-Schulbüchern vom Französischnachhilfeunterricht kannte, mitsamt Traboules und Gros Caillou. Von den zerstörerischen Hardcore-Abspack-Vollrausch-Partys der Erasmusstudenten im selben Viertel, in die wir reinschnupperten, war allerdings mit keinem Wort die Rede...

Je länger wir durch Lyon schlenderten, umso deutlicher wurde mir bewusst, dass wir mit Marseille tatsächlich nichts kennengelernt haben, was eine typische französische Stadt repräsentiert. Sára ist mit meiner einseitigen Kritik zwar nicht einverstanden und fand Lyon zu bourgeois und zu „glatt“, aber mich hat genau diese Seite der Stadt angezogen. Im Klartext bedeutet das nämlich: Lyon, am Zusammenfluss von Saône und Rhône gelegen, ist recht sauber, die Atmosphäre freundlich und modern, es verfügt über großzügige und -artige Parkanlagen in der Innenstadt und man kann sich sowohl als Fußgänger und Radfahrer gut durch die Stadt bewegen als auch ein eng getaktetes ÖPNV-Netz nutzen. Was frappierte, waren die Massen junger Leute, die gerade die Parks und die Flussufer bevölkern, wohingegen die spärlichen Grünanlagen in Marseille, das mir manchmal vorkommt wie eine Art „Anti-Studentenstadt“, teils gar als Caravanstellplatz für ethnische Minderheiten ohne festen Wohnsitz (um vorsichtshalber die political correctness dieses Blogs zu wahren - darf man „Zigeuner“ sagen?) herhalten. Dieser in der Tat etwas einseitige Vergleich soll keineswegs bedeuten, dass es mir nicht gefällt in meiner momentanen Heimat. Ich will damit nur ausdrücken, dass ich mir nicht vorstellen könnte, dauerhaft in Marseille zu leben. Um die Stadt auf einen Nenner zu bringen, würde ich sie als sehr „physisch“ und anstrengend bezeichnen. Lyon dagegen erscheint mir (in dem sehr unvollständigen Bild, das ich von der Stadt habe) als so einladender Lebensraum, dass ich gute Lust verspüre, dort vielleicht während des Studiums einmal zurückzukehren. Nebenbei bemerkt werde ich Ende dieser Woche Gelegenheit haben, meine Eindrücke zu überprüfen: Mit Bäschd und Henrike sowie den FÖJ-lern von der Ferme de Visargent ist nämlich geplant, sich am Wochenende das nicht allzu ferne Lyon anzusehen.

IMG_3925War ich beim eben verschriftlichten Reisebericht über Lyon nur vorsichtig enthusiastisch, so gibt es bei der anderen Destination, die ich gemeinsam mit Sára ansteuerte, keine zwei Meinungen: Korsika ist der Wahnsinn! Die mir bislang nur aus dem betreffenden Asterix-Band bekannte Mittelmeerinsel beherbergt nicht nur (aber schon auch nicht zu knapp) wilde Schweine und knorrige Alte, sondern auch eine atemberaubende Naturvielfalt und ist von Marseille aus so leicht und kostengünstig zu erreichen, dass es schade gewesen wäre, das Jahr verstreichen zu lassen, ohne einmal dort gewesen zu sein. Um die Reisekosten minimal zu halten, haben wir also versucht, couchzusurfen, als von den ca. 30 von Sára angeschrieben Korsen jedoch nur ein Bretone antwortete (merci, Thierry!), war die beste Lösung, sich im Tausch gegen korsische Leckereien die nötige Campingausrüstung zusammenzuleihen und die lauen Nächte auf der „Insel der Schönheit“ romantisch mit ein paar Spinnen (Sára meinte: „Uááááááá!!!“) und vielen verrotteten Oliven im Zweimannzelt zu verbringen.

Ich kam also zu Beginn unseres Fünftagestrips frühmorgens in Bastia im Nordosten der Insel an, wo mich Sára, die schon die ganze vorige Woche auf Arbeit auf Korsika verbracht hatte, erwartete. Dass ich während der Fährüberfahrt ab Toulon auf dem Boden genächtigt hatte, wirkte sich zum Glück nicht weiter tragisch auf den Zustand meines Rückens aus; anders sah es da mit dem Sonnenbrand aus, den wir beide uns gleich am ersten Tag zugezogen haben. Bastia ist nämlich nicht so groß oder spektakulär, dass man für die Besichtigung der Stadt einen ganzen Tag brauchen würde. Früher oder später lautet die Parole deshalb einfach zwangsläufig „Strand“.

Dann aber taten wir das einzig richtige und zugleich das beste, was man in Korsika anstellen kann, nämlich: Raus in die Natur! Dabei möchte ich es nicht missen, kurz abzuschweifen, um auf unser Transportmittel zu sprechen zu kommen. Der „Trinichellu“, wörtlich übersetzt „Züglein“, ist wirklich eins: Ein dieselbetriebener Waggon zockelt die Küste entlang und hoch ins Bergland und macht sich nichts aus den Hochglanzmodellen, die sie drüben auf dem Kontinent haben. Sein Fahrplan ähnelt dem eines Busses. Alle ein bis zwei Minuten etwa befindet sich ein Bahnhof längs der Strecke. Bahnhof heißt auf Korsika: neben dem Gleis ist ohne weitere Beschilderung eine Betonplatte eingelassen, die sich hervorragend zu Fuß erreichen lässt, indem man sich an einer geeigneten Stelle durch den Busch zum Bahngleis durchschlägt und auf den Ausläufern des Kiesbetts für die Schienen so lange daran entlang läuft, bis man über besagte Betonplatte stolpert oder von einem unvorsichtigen Lokführer platt gemacht wird. Genau so machten wir‘s schließlich (also wir habens bis zur Haltestelle geschafft!) und nahmen das Züglein, das uns nach Corte brachte, in die geographische Mitte der Insel, dort, wo die 2000er-Berge stehen.

IMG_3833Corte war der klare Höhepunkt unseres Trips. Schon der Kern der 20000-Einwohner-Universitätsstadt ist wunderschön auf einer Felsnase erbaut, schaffte es aber trotzdem nicht, uns dauerhaft von einem Gewaltmarsch ins umliegende Gebirge abzuhalten. Wie schon kürzlich in den Calanques endete für die arme Sára eine harmlose Wanderung mit mir in übler Plackerei, da starker Höhenwind, unzureichende Bekleidung, ein seltsamer Schmerz in ihrem Fuß und ein Aufstieg von 1700 Höhenmetern eine unglückliche Verbindung eingingen. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir (übrigens auch in Sáras Augen) einen unglaublich tollen Tag in großartiger Bergkulisse verbracht haben. Den Monte Rotondo mit seinen 2600 m ließ uns die Zeitplanung leider nicht ganz bezwingen, dafür liefen wir Mitte Mai durch Schnee, der noch bis unter 2000 m anzutreffen war. Als wir für das letzte demotivierend lange Stück des Abstiegs auch noch ein nettes italienisches Ehepaar anhalten konnten, das uns im Mercedes-SUV auf Ledersitzen ins Tal chauffierte, war tatsächlich alles gut.

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Ein Bus brachte uns am nächsten Tag auf abenteuerlichen Straßen hinunter an die Küste nach Ajaccio, das, abgesehen vom Erwerb eines Napoleon-Armbandes für Katja, eigentlich keiner besonderen Erwägung mehr bedarf. Auf Korsika eine Stadt besichtigen zu wollen ist eigentlich Zeitverschwendung. Diesem Gedanken folgend träume ich davon, im Sommer nach dem Ende des FÖJ noch einmal zurückzukommen, um ein Stück auf dem berühmten Fernwanderweg GR20 einzig und allein durchs korsische Gebirge zu laufen.

Damit habe ichs ausgesprochen: Das Ende meines Freiwilligenjahres rückt in sehr, sehr absehbare Nähe. Wodurch es natürlich unvermeidlich wird, sich über die anstehende Rückkehr in die deutsche Realität Gedanken zu machen. Zum Glück sehe ich seit kurzem in meiner Zukunftsplanung ein gutes Stück klarer. Nachdem ich monatelang unentschlossen zwischen allen denkbaren Studienorten hin und her schwankte, hat jetzt der Fortgang der Ereignisse eine Lösung gebracht, die ich früher mal kategorisch abgelehnt hatte, die ich aber jetzt als gar nicht unattraktiv und für mich im Moment am einfachsten ansehe: Wie es aussieht, ziehe ich mit meiner Schwester zusammen in eine WG in München. Während sie Mathe an der TU studieren wird, schwebt mir das Gleiche an der LMU vor.

Vorher aber habe ich gute Lust auf etwas Urlaub und Entspannung vom entbehrungsreichen FÖJ-Alltag. Die Tatsache, dass ich nach Ende meiner Tätigkeit in Marseille am 31. Juli noch bis Ende August im Appartement in der Rue de Crimée wohnen bleiben kann, gedenke ich auszunutzen - für den bereits erwähnten Korsika-Wandertrip, für eine Radtour mit Yannick entlang der Côte d‘Azur und warum nicht einfach nur für ein paar Strandtage an der Plage du Prophète, hoffentlich mit den Herren Stelzl & Mittermeier. Vorher kommen aber Ende Juni meine Eltern vorbei, um den großteils vermasselten Sommerurlaub vom letzten Jahr nachzuholen und mir wertvolle logistische Hilfestellung zu leisten beim Rücktransport aller meiner (verbliebenen :P) Habseligkeiten.

Schließlich haben wir auch bei Eurocircle die Weichen gestellt. Der junge Mann, der ab dem 1. September 2011 meine Nachfolge als FÖJ-ler antreten wird, heißt Niklas Gutknecht und kommt aus Aalen. Ich hingegen verabschiede mich bald wieder aus Frankreich und noch früher aus dem TGV, in dem ich sitze und der in Kürze in Dijon einlaufen wird. Bis zum nächsten Mal, euer Tobi.

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